Mercedes Next Top-Führungskraft
Wenn der eigene Arbeitsplatz zur Castingshow verkommt

Foto: Klyaksun, stock.adobe.com
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Wie wir aus unterschiedlichen Bereichen hören, sollen bei Mercedes sich Führungskräfte – und bald vielleicht auch Sachbearbeitende – auf ihre eigene Stelle bewerben inkl. einem Video-Pitch. Klingt schräg? Ist es auch. Hinter dem Programm „Next Level Performance“ versteckt sich wohl noch mehr als nur ein fragwürdiger Managementtrend. Es geht um arbeitsrechtliche Grauzonen, Diskriminierungsrisiken und eine Portion Druck, der vielen zu schaffen macht. Warum das Ganze juristisch zweifelhaft ist, was der Betriebsrat tun kann – und was ihr jetzt wissen müsst.
Stellt euch vor, euer Bereich wird umstrukturiert und euer Vorgesetzter sagt plötzlich: „Bewerbt euch bitte auf eure eigene Stelle – und dreht dazu noch ein kurzes Bewerbungsvideo!“ Klingt wie Satire? Ist aber bittere Realität – Mercedes macht’s möglich!
Was läuft hier eigentlich schief?
Im Rahmen von „Next Level Performance“ – einem Programm, das immer noch allzu sehr nach Ironie klingt – werden Führungskräfte ab Teamleiterebene aufgefordert, sich im Rahmen von Organisationsmaßnahmen mit kurzem Video intern „neu“ zu bewerben. Wohlgemerkt auf den eigenen Job! Was zunächst bei den Führungskräften beginnt, plant man bereits auf die Ebene der Sachbearbeiter auszuweiten. Besonders pikant dabei ist, die Stellen sind wohl noch keiner Entgeltgruppe zugeordnet, da deren Bewertung erst im Nachhinein final erfolgen soll. Die Mitarbeitenden „kaufen“ also sprichwörtlich die Katze im Sack!
Natürlich muss sich die Autoindustrie wandeln, aber muss dieser Wandel wirklich derart empathiebefreit und letztendlich auf dem Rücken der Beschäftigten ablaufen? Wir sehen mit Sorge, dass in der sogenannten Zielstruktur weniger Stellen übrigbleiben könnten – ein Spiel mit Ansage. Kolleginnen und Kollegen werden auf eine Art „Reise nach Jerusalem“ geschickt: Am Ende ist nicht genug Platz für alle. Und das kann nicht der Weg sein.
Vor diesem Hintergrund stellen sich uns zahlreiche ungeklärte Fragen: Was passiert mit den Kolleginnen und Kollegen, die bei diesem Verfahren nicht mitmachen? Oder jenen, die gar „durchs Raster fallen“, weil sie beim Auswahlprozess nicht genommen werden? Verlieren sie so ihren Job und werden auf das neue Stellenvermittlungsprogramm „JOB-KOMPASS“ versetzt? Die Rahmenbedingungen dazu sind derzeit noch in Verhandlung. Die Verunsicherung ist dermaßen groß, dass alle mitmachen. Nicht aus tiefster Überzeugung, sondern aus blanker Angst.
Rechtlich: Ganz dünnes Eis
Eine erste Prüfung zeigt: Diese Praxis ist aus arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten äußerst heikel.
Grundsatz Nummer eins: Wer einen gültigen Arbeitsvertrag hat, muss sich nicht neu bewerben – schon gar nicht auf die eigene Stelle – selbst bei Umstrukturierungen. Das Beschäftigungsrisiko liegt hier einzig und allein beim Arbeitgeber. Mercedes hat sich in einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung verpflichtet, wodurch betriebsbedingte Kündigungen bis 2035 ausgeschlossen sind. Wenn jetzt versucht werden soll, mit solchen Methoden durch die Hintertür Mitarbeiter auszutauschen, wird es rechtlich angreifbar. Sollten dabei am Ende sogar bestimmte Gruppen benachteiligt werden, wie etwa Schwerbehinderte, greift zusätzlich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Letztendlich ist das gesamte Konzept weder transparent noch bis zu Ende gedacht!
Datenschutz? Emotionale Belastung? Egal!
Zur Bewerbung soll ein kurzer Pitch in Form eines Videos angehängt werden! Ganz im Ernst: Wer denkt sich so etwas aus?
Video-Pitches können ungewollt diskriminieren – etwa wegen Alter, Geschlecht, Herkunft oder einer Behinderung. Denn plötzlich zählen Faktoren, die mit der eigentlichen Qualifikation wenig zu tun haben: Aussehen, Sprachstil, Kameraqualität, Auftreten vor der Linse, kulturelle Eigenheiten oder körperliche Einschränkungen. Diese Merkmale sind für die Jobleistung in der Regel irrelevant, dennoch beeinflussen sie – oft unbewusst – die Wahrnehmung. So werden Menschen benachteiligt, obwohl sie fachlich absolut überzeugen könnten.
Wenn Kameraqualität mehr zählt als Qualifikation, entwickelt sich das Personalmanagement in eine völlig falsche Richtung. Video-Pitches mögen vielleicht modern wirken – aber sie können Menschen, die vor der Kamera nicht glänzen, im Job aber top wären, nachhaltig ausbremsen.
Neben dem Datenschutz bleiben viele Fragen offen: Wo landet das Video? Wer hat Zugriff? Wie lange wird es gespeichert? Und dann die eigentlich entscheidende Frage: Wie geht es den Menschen dabei, wenn sie sich nach Jahren im Job plötzlich fühlen wie in einer Castingshow?
Wie positioniert sich der Betriebsrat?
In diesem sensiblen Verfahren zeigt der Betriebsrat eine eindeutige Haltung: Das Konzept wurde kategorisch abgelehnt.
Die Geschäftsleitung dagegen sieht ihr Vorgehen als Teil unternehmerischer Organisationsmaßnahmen. Und ja – bei Umstrukturierungen greift das Mitbestimmungsrecht formal nicht vollständig. Der Betriebsrat hat in solchen Fällen meist nur ein Informations- und Beratungsrecht und keine echte Mitbestimmung.
Aber genau das ist das Problem: Wie verhindern wir solche fragwürdigen Methoden, bevor sie Realität werden?
Wir sehen in diesem Vorgehen einen möglichen Verstoß gegen die Auswahlrichtlinie. Diese besagt unter anderem: Bereits besetzte Stellen dürfen nicht erneut ausgeschrieben werden.
Als Berufsverband und Betriebsratsliste NEUE PERSPEKTIVE bewerten wir dieses Verfahren deshalb äußerst kritisch. Und dabei stehen wir mit unserer Einschätzung nicht allein da: Eine erste unabhängige juristische Prüfung hat uns in unserem Standpunkt deutlich bestärkt.
Was bedeutet das für euch?
Wenn ihr betroffen seid: Lasst euch nicht unter Druck setzen. Holt euch rechtlichen Rat – je früher, desto besser. Dokumentiert alles, was passiert – schriftlich, mit Datum. Und wenn ihr Unterstützung braucht: Meldet euch bei uns. Wir sind für euch da.
Klar ist: Die Automobilbranche steckt mitten im Umbruch. Aber das heißt nicht, dass Arbeitnehmerrechte plötzlich verhandelbar wären. Versetzungen sind – wie jede andere Personalmaßnahme -mitbestimmungspflichtig und müssen vom Betriebsrat genehmigt werden. Unabhängig der unangemessenen Methoden gehen am Ende alle sich daraus ergebenden Stellenbesetzungen an den Betriebsrat zur Prüfung und Freigabe!
Wir bleiben dran und halten euch auf dem Laufenden.