Willkommen auf dem Mount Stupid!

Wenn Ahnungslosigkeit auf Macht trifft

Willkommen auf dem Mount Stupid!

14.05.2025 Unternehmen & Politik 0

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Man kann sich nur wundern, lachen oder beides. Denn was derzeit bei Mercedes-Benz passiert, wirkt wie eine besonders zynische Realsatire: Der Vorstand bescheinigt der Belegschaft per se mangelnde Leistungsbereitschaft, zu viele Krankheitstage und hohe Kosten. Im selben Atemzug entscheidet man, das Unternehmen mit einem radikalen Kahlschlag fit für die Zukunft zu machen. Chapeau! Wer braucht schon erfahrene Mitarbeitende, Innovation und kluge Strategien, wenn man stattdessen ein paar von der KI generierte PowerPoint-Folien mit schnittigen Schlagwörtern in den Ring werfen kann?

Kritik von oben – frei von Selbstkritik

Ola Källenius hat im vergangenen Jahr keine Gelegenheit ausgelassen, der Belegschaft die Schuld an den „schlechten Ergebnissen“ anzulasten. Zu teuer, zu ineffizient, zu oft krank – so das Urteil, garniert mit dem Vergleich zu den „leistungsbereiteren“ Menschen in China. Dabei blendet er aus, dass viele Probleme hausgemacht sind: schleppende Innovationen, ein uninspiriertes Produktportfolio, zerfaserte Strukturen, ausgedünnte Vertriebswege und eine Führung, die sich auf dem Gipfel des Mount Stupid häuslich eingerichtet hat. Dort oben ist die Aussicht klar – aber leider nur auf die eigenen Fehlannahmen.

NLP – PR-Programm mit toxischem Kern

Seit dem Quartalsbericht im Dezember 2024 überschlagen sich die Ereignisse. Next Level Performance (kurz: NLP) wird aus dem Hut gezaubert – ein Programm, verhandelt zwischen Geschäftsleitung und Gesamtbetriebsrat, während der Betriebsrat der Zentrale außen vor blieb.
Das Ergebnis: eine Beschäftigungssicherung bis 2035 – mit einem entscheidenden Haken. Zwischen dem 30. April und dem 07. Mai 2025 erhielten nahezu alle Beschäftigten in der Zentrale sogenannte „individuelle Angebote“. Dahinter verbargen sich Aufhebungsverträge oder Frühpensionierungen. Was wohlwollend klingt, entpuppt sich im Alltag als Drucksituation. Führungskräfte deuten an, es würde „ungemütlich“, sollte man nicht unterschreiben. Aussagen wie „Wir brauchen Mitarbeitende, die Leistung bringen“ werden zur Waffe gegen Würde und Erfahrung. Somit zahlen die Beschäftigte einmal mehr den Preis für Managementversagen.

Maßnahmen – so kreativ wie ein leeres Flipchart

Eigentlich will Mercedes-Benz sich mit „NLP“ neu erfinden. In Wahrheit ist es eine weitere Sparrunde. Man spart Personal und erwartet gleichzeitig Spitzenleistung. Gleitzeitkonten werden eingefroren, mit der Vorgabe, sie bis Jahresende auf den Stand vom 1. April zurückzuführen – wer das nicht schafft, verliert die Stunden. Beschäftigte müssen plötzlich 36 Urlaubstage bis Jahresende abbauen. Zeitarbeitskräfte, oft unverzichtbare flexible Stützen in Projekten, wurden mehrheitlich entlassen.

Gleichzeitig erwartet man mehr Büropräsenz und noch mehr Output. Als sei reine Anwesenheit gleichbedeutend mit Innovation. Wer glaubt, hier gehe es um Zukunftsfähigkeit, der irrt. Es geht um kurzfristige Zahlenkosmetik und um das systematische Wegdrücken von Verantwortung.

Der Einsatz von KI soll dabei für „Performance“ sorgen – also für das, was menschliche Expertise jahrelang geleistet hat – nur billiger. Weit gefehlt! Damit verschwinden Verantwortlichkeiten und Know-how wird massenhaft geopfert. Hauptsache, der Personalabbauzähler läuft. Kaum zu glauben, dass das alles gesetzlich erlaubt ist. Doch hier hat Wahnsinn Methode.

Der Dominoeffekt nach außen – Vertrauen verspielt

Auch externe Partner bleiben nicht unberührt. Lieferanten zweifeln, die Zahlungsmoral ist miserabel, Zusagen werden zunehmend gebrochen, Investitionen lohnen sich für unsere Partner kaum noch. Wer heute für Mercedes arbeitet, rechnet ein Risiko ein – das meist beim Dienstleister selbst hängen bleibt. Entwicklungspartnern verkünden bereits Pläne zum Stellenabbau. Mercedes zieht die Stecker und anderswo gehen die Lichter aus.

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Führung ohne Richtung – Vision ohne Verstand

Weniger Leute, weniger Geld, weniger Mut – gleichzeitig aber mehr Druck, mehr Kontrolle und mehr Illusion. Ein zukunftsfähiges Produktportfolio? Fehlanzeige. Qualität, die den Preis rechtfertigt? Kaum erkennbar.

Statt einer echten Vision dominiert hektische Umstrukturierung. Während Aktien in Milliardenhöhe zurückgekauft und Organisationsdiagramme neu erfunden werden, wechseln Zuständigkeiten schneller als die Nummernschilder auf der Teststrecke. In den Bereichen ist bereits die Rede von 20 % Stellenabbau – ohne Rücksicht auf Wissen oder Erfahrung.

Treue Kunden wechseln die Marke, während der Vorstand orientierungslos, überfordert und geradezu beratungsresistent wirkt. Die Hauptversammlung brachte erste Unruhe – doch noch schützt der Aufsichtsrat den Kurs von Ola Källenius. Aber wie lange noch?

Führung mit Tunnelblick und ohne Vertrauen

Das Problem ist nicht allein das „Was“, sondern vor allem das „Wie“. Vertrauen scheint in Stuttgart längst ein Fremdwort geworden zu sein. Ein Paradebeispiel für den Dunning-Kruger-Effekt: Führungskräfte, überzeugt von ihrer eigenen Brillanz, denen jedes Gespür für Realität und Wirkung abhandengekommen ist. Kritik wird als Störung empfunden, nicht als Korrektiv. Wer Bedenken äußert, gilt schlicht als Bremser – nicht als Stimme der Vernunft. Es herrscht ein Klima der Kontrolle statt der Kooperation. Dabei sind Orientierung, Zuversicht und eine inspirierende Vision jetzt wichtiger denn je. Beschäftigte spüren den Bruch. Viele fühlen sich nur noch als Kostenfaktor. Vertragsauflösungsgespräche mit spürbarem Druck – das spricht für sich.

Man traut der Belegschaft keine Verantwortung zu – stattdessen drückt man ihr ein Ultimatum nach dem anderen in die Hand, garniert mit süßlicher PR-Rhetorik und leeren Versprechen. Gleichzeitig erwartet das Top-Management Begeisterung für die Transformation, während man der Belegschaft den Boden unter den Füßen wegzieht. Mercedes-Benz sollte für mehr als Verkaufszahlen und Aktienkurse stehen – nämlich für Menschen, Wissen und eine stolze Geschichte. Doch diese Substanz wird derzeit leichtfertig verspielt. Der Weg aus der Krise führt nicht über Stellenabbau, sondern über Einsatz und über eine engagierte Belegschaft, die nicht eingeschüchtert, sondern motiviert wird.

Zeit für echte Verantwortung

Was wir erleben, ist keine Strategie – es ist vielmehr eine Flucht nach vorn in die nächste Sparrunde, das nächste Programm, der nächste Fehler. Und das wird wie in der Vergangenheit so nicht funktionieren. Aber ein Unternehmen wie Mercedes lebt nicht von Excel-Tabellen, sondern von Menschen, von Leidenschaft statt Paranoia und von Innovationskraft statt Angst. Die Frage ist nicht mehr, ob diese Transformation gelingt, sondern wer am Ende überhaupt noch übrigbleibt, um sie umzusetzen?

Es wird Zeit, dass jene Verantwortung übernehmen, die diese fatalen Entscheidungen getroffen und es sich zu lange in ihrer Selbstüberschätzung bequem gemacht haben. Denn die Transformation ist kein Kostensenkungsprojekt – sie ist eine Zukunftsfrage! Und wer darauf keine Antwort hat, täte gut daran den Platz zu räumen.